Warum künstliche Intelligenz die Aufgaben eines professionellen Korrektorats (noch) nicht übernehmen kann
Von Stephan Jung, CEO Rotstift AG
In den letzten Jahren hat sich künstliche Intelligenz (KI) rasant entwickelt und findet zunehmend Anwendung in Bereichen, die früher ausschliesslich Menschen vorbehalten waren. Dazu gehört auch die Textbearbeitung, insbesondere Rechtschreibprüfungen und stilistische Anpassungen. Viele Programme, wie etwa Grammarly oder DeepL Write, suggerieren, dass sie professionelle Korrekturleistungen erbringen können. Dennoch gibt es klare Grenzen dafür, weshalb KI die Arbeit eines professionellen Korrektorats nicht oder noch nicht vollständig ersetzen kann.
Sprachliches Verständnis: Subtilität und Kontext
Ein zentraler Unterschied zwischen einer KI und einem*einer menschlichen Korrektor*in besteht im Verständnis von Sprache. KI-Modelle sind darauf trainiert, Muster in Daten zu erkennen und Vorhersagen über wahrscheinliche Wort- und Satzkonstruktionen zu treffen. Sie sind jedoch oft nicht in der Lage, die volle Tiefe und Subtilität von Texten zu erfassen. Eine menschliche Korrekturkraft hingegen bringt nicht nur Sprachkompetenz, sondern auch ein Verständnis für den Kontext und die Intention der Autor*innen mit. So kann ein Mensch beurteilen, ob eine Formulierung stilistisch zum Gesamtkonzept eines Textes passt, während eine KI lediglich allgemeine Regeln anwendet oder auf häufige Muster zurückgreift.
Beispielsweise kann eine KI Schwierigkeiten haben, Ironie, Sarkasmus oder andere sprachliche Feinheiten korrekt zu interpretieren. Ihr menschliches Pendant erkennt hingegen die emotionale und rhetorische Funktion solcher Stilmittel und kann darauf basierend Verbesserungsvorschläge machen, ohne die beabsichtigte Wirkung zu zerstören.
Anpassung an Zielgruppen und Genres
Ein weiterer Schwachpunkt von KI besteht in der mangelnden Flexibilität bei der Anpassung an unterschiedliche Zielgruppen und Textgenres. Professionelle Korrektor*innen verfügen über ein breites Wissen zu den stilistischen Anforderungen verschiedenster Textarten, sei es eine wissenschaftliche Arbeit, ein literarischer Text oder ein Werbetext. Sie können den Schreibstil individuell anpassen und dabei spezifische Konventionen und Erwartungen berücksichtigen. KI-Programme arbeiten hingegen auf Basis allgemeiner Sprachmodelle, die oft nicht spezifisch genug sind, um solche feinen Unterscheidungen zu machen.
Kultur und Sprache im Wandel
Sprache ist ein lebendiges und sich ständig wandelndes Kulturgut. Neue Begriffe, Redewendungen und Trends entstehen laufend, und ihre korrekte Anwendung hängt oft von kulturellem Wissen und aktuellem Zeitgeist ab. Menschliche Korrektor*innen können diese dynamischen Veränderungen nachvollziehen und in ihre Arbeit einfliessen lassen. KI-Modelle hingegen basieren auf historischen Daten, die nicht immer den aktuellen Sprachgebrauch widerspiegeln. Dies kann zu veralteten oder unpassenden Korrekturen führen.
Emotionale und kreative Aspekte
Professionelle Korrektor*innen agieren nicht nur als technische Prüfer*innen, sondern auch als sensible Leser*innen, die auf den emotionalen und kreativen Gehalt eines Textes achten. Sie können etwa beurteilen, ob ein bestimmter Satz zu kalt, zu persönlich oder zu technisch klingt, und daraufhin Verbesserungsvorschläge machen. Eine KI ist nicht in der Lage, Emotionen oder kreative Nuancen in gleicher Weise zu erfassen. Sie konzentriert sich auf messbare und regelbasierte Kriterien, wodurch wichtige Aspekte der Textqualität unbeachtet bleiben.
Menschliche Intuition und menschliches Erfahrungswissen
Ein weiterer entscheidender Vorteil der menschlichen Korrektoratsarbeit ist die Intuition, die durch Erfahrung gewachsen ist. Menschen entwickeln im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit ein Gespür für sprachliche Eleganz und die Wirkung von Texten. Sie können beispielsweise erkennen, wenn ein Satz zu sperrig ist, ohne dass dies explizit einer Regel widerspricht. Diese Intuition basiert auf Erfahrungen, die KI-Systemen, zumindest bislang, fehlen.
Technische Grenzen der KI
Auch wenn KI in vielen Bereichen beeindruckende Leistungen zeigt, gibt es technische Einschränkungen. KI-Systeme wie ChatGPT oder Grammarly sind von der Qualität und der Quantität der Daten abhängig, mit denen sie trainiert wurden. Für seltene oder hochspezifische Themen fehlt es oft an ausreichenden Daten, was zu Fehlern oder ungenauen Korrekturen führen kann. Ausserdem sind KI-Systeme nicht unfehlbar und können selbst bei einfachen Aufgaben Fehler machen, etwa durch missverständliche Formulierungen oder widersprüchliche Regeln.
Fazit
Obwohl KI-gestützte Programme wertvolle Werkzeuge für die Textbearbeitung sind, reichen sie nicht an die Qualität und die Vielseitigkeit eines professionellen Korrektorats heran. Die Arbeit einer menschlichen Korrekturkraft zeichnet sich durch ein tiefes Verständnis von Sprache, Kontext und Stil aus, das eine KI in ihrer derzeitigen Form nicht bieten kann. Bis KI-Systeme in der Lage sind, Subtilitäten zu verstehen, sich flexibel an Zielgruppen und Genres anzupassen und kreative sowie emotionale Aspekte eines Textes zu berücksichtigen, wird die Rolle der menschlichen Korrekturleistung unersetzlich bleiben. Künstliche Intelligenz kann eine sinnvolle Ergänzung sein, aber kein vollwertiger Ersatz.